Bombenanschlag in Boston

Wie ja jeder wahrscheinlich weiss, gab es am Patriots Day vor zwei Wochen einen Bombenanschlag auf den Boston Marathon, daher wollten wir mal hier auch unsere Eindrücke schildern. Wir waren an diesem Tag nicht in der Nähe des Marathons und haben die Ereignisse nur im Fernsehen gesehen. Ich hatte mir den Zieleinlauf der Profiläufer im Fernsehen angesehen und bin dann an den Ghia gegangen. Judith war gerade am Computer, als die Warnungs-SMS von Boston University auf ihrem Handy eingegangen sind. Sie hat mir dann die Neuigkeiten erzählt. Den Rest des Tages haben wir dann natürlich vor dem Fernsehen verbracht.

Boylston Street ist eine der Hauptstrassen in Boston an der viele Geschäfte liegen, die Judith und ich ab und an besuchen. Deswegen war die Situation natürlich ziemlich surreal, da wir beide das Areal gut kennen.
Auch wenn drei Menschen starben und 180 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, hatten viele Leute auch Glück. Einer meiner Laborkollegen war direkt gegenüber der zweiten Bombe. Bis auf einen riesen Schreck ist ihm nichts passiert. Zwei Leute aus Judiths Labor waren an Kenmore Square, ca. 20 Minuten zu Fuss vom Ziel, und waren nur vom Verkehrschaos betroffen. Niemand den wir kennen, wurde verletzt.

In den folgenden Tagen wurde die Sicherheit in Boston selbstverständlich hochgeschraubt. Vor den Krankenhäusern wurden schwerbewaffnete Polizisten und gepanzerte Militärfahrzeuge postiert. Die Nationalgarde hat in der U-Bahn Taschen und Rucksäcke kontrolliert. Ausserdem wurde natürlich jede kleine Mist sehr ernst genommen. Sowohl Boston University, als auch MIT hatte in zwei Tagen mehrere falsche Alarme durch „verdächtige Pakete“, die erst mal untersucht werden mussten. Ausserdam war der Präsident noch zu einem Gedenkgottesdienst hier, was natürlich in noch mehr Sicherheitspersonal endete.

Am Donnerstag abend wurden dann vom FBI Bilder von zwei Verdächtigen freigegeben, und um Mithilfe bei der Identifizierung gebeten. Das hat den Druck auf die Attentäter massiv erhöht, was dann zum „Lockdown“ und den Ereignissen am Freitag geführt hat. Da in den deutschen Nachrichten so manche Sache nicht ganz richtig dargestellt wurde, hier eine Zusammenfassung aus unserer Sicht.

Donerstag nachts bekam ich eine Warnungs-SMS, dass es eine Schützen am MIT geben soll. Da wir die Nachricht als eine weitere Überreaktionen gewertet haben und es schon recht spät war, sind wir ins Bett gegangen. Judith wollte am Freitag früher ins Labor, hatte aber beim Aufstehen bereits mehrere SMS und Emails, dass die Universitäten geschlossen bleiben und keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Also aufgestanden und erstmal im Internet und Fernsehen auf den neusten Stand gebracht. Zuerst gab es folgende Informationen: In der Nähe des MIT wurde Donnerstag Nacht ein Supermarkt überfallen, kurz darauf wurde ein MIT Polizist in seinem Auto erschossen (direkt vor dem Gebäde, wo ich arbeite). Anschliessend wurde ein Mercedes Geländewagen geklaut und der Fahrer als Geisel genommen. Die Geisel entkam später an einer Tankstelle und konnte die Polizei verständigen. Die folgende Verfolgungsjagd mit der Polizei führte die Attentäter von Cambridge nach Watertown. Dort gab es dann eine wilde Schiesserei zwischen Polizei und den Attentätern, wobei auch Bomben geworfen wurden. Dabei wurde der ältere der beiden Brüder mehrfach angeschossen. Er erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der jüngere Bruder ist zuerst im gestohlenen Auto, dann zu Fuss geflüchtigt. Als wir aufgestanden sind, wurde nach dem jüngere Bruder noch immer gefahndet.

In den deutschen Medien wurde von „Ausgangssperre“ geredet, dies war aber nicht der Fall. Die Polizei hat darum gebeten, zuhause zu bleiben, um niemanden zu gefähreden, und die Stadt Boston hat daher alle U-Bahnen, Busse usw. gestoppt und ebenfalls die Einwohner aufgeforedert, nicht das Haus zu verlassen. In Watertown sollte man nur die Tür öffnen, wenn Polizei oder Militär davorsteht. Quincy war rein theoretisch gar nicht betroffen, wir sind aber trotzdem den ganzen Tag zuhause geblieben, da die Unis ja geschlossen waren. Die Nachbarschaft, wo man den Verdächtigen vermutete, wurde durchkämmt. Das konnte man sich dann Live auf allen Fernsehsendern anschauen. Eigentlich war das fürchterlich langweilig, da ja nichts passierte, aber trotzdem lief irgendwie den ganzen Tag unser Fernseher mit der Dauerberichterstattung. In Cambridge wurde das Appartment, wo die Attentäter wohnten, durchsucht und alles abgeriegelt, (nur 5 Minuten Laufweite von Freunden von uns).
Um 7 Uhr abends wurde dann bekannt gegeben, dass man noch niemanden festgenommen hat, da man aber nicht ganz Boston weiterhin lahmlegen könne, wurde gesagt, dass man nun wieder sein Haus verlassen könne. Um eventuell noch ein paar Experimente bei Judith im Labor zu „retten“, wollten wir gerade mit dem Auto los, als plötzlich die Kamera des Fernsehreporters schwarz wurde und man Schüsse hörte. Nach einiger Verwirrung stand dann fest, dass der Gesuchte sich in einem Boot im Garten eines Hauses in Watertown befand und nun von der Polizei umzingelt wurde. Gefunden wurde er vom Besitzer des Bootes, nachdem er, als er das Haus wieder verlassen durfte, sah, dass die Abdeckplane über dem Boot offen war. Nach weiteren zweieinhalb Stunden Schiesserei und Verhandlungen wurde der Attentäter lebend festgenommen und mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.

In ganz Boston gab es nach der Festnahme viele spontane Feiern auf der Strasse. Zuerst wollten wir uns ebenfalls nach dem ganzen Chaos noch mit Freunden in Boston auf ein Bier treffen, aber das haben wir dann doch auf den Samstag verschoben.

Wir wurden von mehrere Leuten aus Deutschland gefragt, ob am Freitag eigentlich wirklich feststand, dass die beiden die Bomben gelegt hatten. Das FBI hat sie als „Verdächtige“ bezeichnet, es gab Bilder dass sie mit Rucksäcken zum Marathon gingen, aber diese später nicht mehr da waren. Ausserdem gab es wohl ein Video des jüngeren Bruders, wie er den Rucksack am Platz der zweiten Explosion abstellte. Das kann man als begründeten Verdacht schon durchgehen lassen. Aber spätestens, als es dann Schiesserei mit der Polizei gab und Bomben geworfen wurden, war wohl klar dass das nicht jemand völlig Unschuldiges ist.

Mit den Informationen, die in den nächsten Tage bekannt wurden, lief der Freitag wohl wie folgt ab: Alles fing an mit dem Ladenüberfall. Die Räuber waren nicht die Bombenleger, aber der ältere der beiden Brüder war in dem Geschäft (schlechtes Timing). Dieser hat wohl auch den MIT Polizisten erschossen und den Mercedes geklaut (nach Aussage der Geisel). Der jüngere Bruder wurde zusammen mit weitere Bomben und Waffen mit dem gestohlenen Auto abgeholt. Im Auto wurde spontan geplant nach New York zu fahren, um Bomben am Times Square zu zünden, zu der Motivation gibt es aber weiter nichts genaues. Daraus wurde zum Glück nichts.
Es gab zwischendruch das Gerücht, dass der Bootbesitzer Blut am Boot gesehen habe und dann eben mal geschaut hat, was da nicht stimmt bevore er die Polizei gerufen hat. Das stimmt nicht, es gab kein Blut aussen am Boot, die Plane waren nur offen. Daher wollte er sie richten und hat den angeschossenen Attentäter dabei im Boot gefunden.

Der noch lebende Attentäter kann wegen seiner Verletzungen noch nicht reden, kommuniziert aber mit dem FBI/Polizei und wurde offiziell für die „Benutzung von Massenvernichtungswaffen“ angeklagt. Ihm droht die Todesstrafe.

Inzwischen wurde Boylston Street wieder geöffnet. Selbstverständlich gibt es dort und auch am MIT „Gedenkstätten“ für die Opfer. Überall findet man Anzeigen oder Plakate für den „One Fund Boston“, um die Opfer zu unterstützen. Ausserdem machen sich die Leute gegenseitig Mut, wie man am Beispiel dieses Busses sehen kann:

Wir möchten eins ganz klar feststellen: Zu keiner Zeit haben wir uns in Boston und Cambridge unsicher gefühlt. Um ehrlich zu sein, hat sich unser gesammtes Sicherheitsempfinden nicht geändert. Allerdings war es sehr seltsam Strassen und Plätze im Fernsehen zu sehen, die man sehr gut kennt und die ganzen Sicherheitsmassnahmen direkt mitzubekommen.

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